Auszug aus FAZ vom 3. Juni 2006

 

Was sind „neue Tatsachen“?

 

Der Schweriner Untersuchungsausschuß zum Mordfall Carolin beendet seine Arbeit / Von Frank Pergande

 

SCHWERIN, 2.Juni

Die Beweisaufnahme im parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Fall Carolin in Mecklenburg-Vorpommern ist beendet. Als letzter war der Justizminister des Landes, Erwin Sellering (SPD), vorgeladen. Derzeit wird am Abschlußbericht gearbeitet. Er soll noch auf der letzten Sitzung des Schweriner Landtages in diesem Monat behandelt werden. Am 17.September wird einneuer Landtag gewählt.

Minister Sellering wußte, was er dem Untersuchungssausschuß schuldig ist. Er lobte dessen Arbeit. So seien durch den Ausschuß Schwachstellen in der Justiz aufgedeckt worden, so in der Zusammenarbeit von Gerichten, Staatsanwaltschaft und Justizvollzugsanstalten. Der Minister sagte, vor allem in der sogenannten Führungsaufsicht, also in der Betreuung und Kontrolle aus der Haft Entlassener, werde es Veränderungen geben. Bislang sei dieses Instrument oft nur ein „zahnloser Tiger“ gewesen. Sellering sagte weiterhin zu, dass die Sozialtherapie neu organisiert werde. So werde nicht nur die Leitung ausgetauscht, sondern es sollten künftig auch mehr Psychologen und Sozialtherapeuten in der erst vor kurzem eröffneten Sozialtherapie in der Justizvollzugsanstalt Waldeck helfen. Und wer eine Strafe mehr als vier Jahre erhalte, solle bei Antritt der Haft gründlicher als bisher untersucht werden, um herauszubekommen, wie gefährlich der jeweilige Täter wirklich ist.

Ganz anders als Sellering  war zuvor Mecklenburg-Vorpommerns Generalstaatsanwalt Uwe Martensen vor dem Ausschuß aufgetreten. Bei seiner ersten Befragung hatte er von einer „billigen Nummer“ gesprochen. Ihn ärgerten besonders die scharfen angriffe gegen jene Staatsanwältin aus Stralsund, welche die Entlassung von Carolins späterem Mörder Maik S. bestätigt hatte und seit dessen Tat sogar unter Polizeischutz gestellt werden musste.

Bei der zweiten Befragung war Martensen dann vorsichtiger und zugänglicher. Seine Kritik am Ausschuß hätte ihn aber wohl dennoch die Position gekostet, zumal auch sein Verhältnis zum Minister als nicht besonders gut gilt. Aber Martensen geht in wenigen Wochen ohnehin in den Ruhestand. Eines allerdings wurde vor dem Ausschuß vom Minister wie auch vom Generalstaatsanwalt abermals bestätigt: Die Entlassung von Maik S. aus dem Strafvollzug war juristisch nicht zu verhindern gewesen.

Maik S. hatte seit 1998 nach einer Sexualstraftat sieben Jahre lang im Gefängnis gesessen. Dann kam er frei, obgleich er nach wie vor als sehr gefährlich galt und sich allen Versuchen einer Therapie entzogen hatte. Er war nur wenige Tage in der Freiheit, da vergewaltigte er in der Rostocker Heide nahe seinem Heimatort Gelbensande am helllichten Tag das sechzehn Jahre alte Mädchen Carolin und erschlug es anschließend. Inzwischen ist der Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt und wird nicht mehr freikommen, denn das Gericht ordnete erwartungsgemäß anschließende Sicherungsverwahrung an.
Sicherungsverwahrung ist allerdings nach gegenwärtiger Rechtsprechung erst dann möglich, wenn der Täter eine zweite Tat begangen hat. Vorwenigen Tagen erst hat Bayern auf Anregung der Justizministerin Beate Merk (CSU) dem Bundesrat eine Gesetzesinitiative unterbreitet, nach der künftig nachträgliche Sicherungsverwahrung schon nach der ersten Tat angeordnet werden könnte. Das ist zwar eigentlich auch jetzt schon möglich, aber nur dann, wenn sich in der Zeit der Haft „neue Tatsachen“ ergeben haben, die bei der Verurteilung dem Gericht unbekannt waren. Eine länger zurückliegende Straftat könnte das sein.

Mecklenburg-Vorpommern hat Frau Merk zwar unterstützt, glaubt aber nicht an den Erfolg der Initiative. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes habe hohe Hürden vor eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nach der ersten Tat gesetzt. Sellering wirbt vielmehr für eine Gesetzesänderung, die es möglich macht, bei erkannter Gefährlichkeit des Täters schon bei Urteil anschließende Sicherungsverwahrung anzuordnen. Gemeint sind dabei Täter, die ungeachtet aller Brutalität, Kaltblütigkeit und Wiederholungsgefahr als gesund gelten, also nicht in den Maßregelvollzug kommen.

Im Untersuchungsausschuß nun war immer über die „neuen Tatsachen“ gesprochen worden, die bei Mail S. Sicherungsverwahrung vielleicht doch noch hätte möglich machen und so den Mord an Carolin hätten verhindern können. War es eine solche neue Tatsache, dass Maik S. sich der Therapie entzog und immer wieder durch kleine Auffälligkeiten in der Haft auffiel? Oder war es schon eine neue Tatsache, dass Maik S. in der Haftzeit älter geworden sei, wie ein Gutachter sogar vorschlug? All diese Aussagen aber wurden in Kenntnis der grausamen Tat gemacht.

Zweifellos hat Carolins Tod eine Gesetzeslücke offenbart. ….

 

Bericht der Ostsee-Zeitung, Copyright liegt bei der OZ!

 

OSTSEE-ZEITUNG.DE

Montag, 22. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

CDU fordert erneut Entlassung von Martensen


Schwerin (OZ/kw) Der politische Streit zwischen SPD und CDU im Untersuchungsausschuss zum Mordfall Carolin wird immer bizarrer. Nach der erneuten Vernehmung des Generalstaatsanwaltes Uwe Martensen am Freitag (OZ berichtete) forderte der CDU-Obmann im Ausschuss, Ulrich Born, am Wochenende die Entlassung von Martensen.

Die bis in die späten Abendstunden geführte Vernehmung habe „massive Abstimmungsmängel zwischen Staatsanwaltschaft, Justizbeamten und Polizei“ offenbart. Außerdem seien Probleme bei der Umsetzung des neuen Rechts zur nachträglichen Sicherheitsverwahrung weder erkannt noch abgestellt worden. Der Generalstaatsanwalt, der dafür verantwortlich sei, müsse entlassen werden, forderte Born.

Der SPD-Obmann im Ausschuss, Bodo Krumbholz, brach seinerseits die Zeugenvernehmung eines von der CDU-Fraktion vorgeschlagenen Sachverständigen ab. Der Vorwurf: Der Rechtswissenschaftler Volker Krey aus Trier sei vor der Vernehmung „gebrieft“ worden. „Hier sind Unterlagen ohne Wissen des Ausschusssekretariats an einen Sachverständigen herausgegeben worden“, kritisierte Krumbholz. Dies sei ein eklatanter Verstoß gegen das Untersuchungsausschussgesetz. Es müsse geprüft werden, ob die Aussage von Frey überhaupt noch verwertbar sei.

Der Ausschuss kommt am Mittwoch erneut zusammen. Mit Spannung erwartet wird die Aussage von Justizminister Erwin Sellering (SPD).

 

Wochenendausgabe, 20. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

„Nicht alle Täter sind therapierbar“


Nach Ansicht von Generalstaatsanwalt Uwe Martensen hatte die Justiz keine Chance, den Mordfall Carolin im Vorfeld zu verhindern.

Schwerin (OZ) Wenig Neuigkeiten, dafür viele bittere Wahrheiten förderte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zu Vorfällen in der Justiz (Carolin-Ausschuss) gestern zu Tage. Ein Psychotherapeut bezeichnete die Therapie von Strafgefangenen als „problematisch“, die Generalstaatsanwaltschaft in vielen Fälle als unmöglich, zudem lasse die Belastung der Staatsanwälte es gar nicht zu, dass jeder Fall genau geprüft werde.

Der Reihe nach: Politischen Spannungen lagen in der Luft, als der Ausschuss gestern zusammentrat. Die erneute Vernehmung von Generalstaatsanwalt Uwe Martensen stand an. Er hatte bei seiner letzten Vernehmung dem Gremium die Kompetenz abgesprochen. Der Ausschuss reagierte: Er unterbrach die Vernehmung und schickte Martensen nach Hause.

Der quetschte sich gestern so etwas wie eine Entschuldigung ab: Er habe gar nicht die Abgeordneten im Ausschuss gemeint, da sei er falsch verstanden worden. In seinem Vortrag war Martensen deutlicher: „Es ist eine Illusion, die den Bürgern immer wieder vermittelt wird, dass alle Straftäter therapierbar sind“, sagte er und räumte Unzulänglichkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Justizvollzugsanstalten (JVA) und Staatsanwaltschaft ein. Das Problem: Soll ein Straftäter aus der Haft entlassen werden, ist sechs Monate vor dem Termin eine Prüfung auf die „nachträgliche Sicherheitsverwahrung“ vorgeschrieben. Gibt es Hinweise, die eine weitere Verwahrung rechtfertigen könnten muss die JVA die Staatsanwaltschaft informieren, die dann das Verfahren einleitet. „Der Fall Maik S. ist der erste Fingerzeig, dass das so nicht funktioniert“, sagte Martensen. Zudem habe die Staatsanwaltschaft Schwerin im Nachhinein auf eigene Initiative Akten geprüft, und zwei weitere Fälle entdeckt, bei denen die JVA hätten informieren müssen. Doch auch die Staatsanwaltschaft sei „gar nicht in der Lage“, jede Akte zu prüfen. Martensen: „32 Anwälte in Stralsund bearbeiten 11 000 Akten pro Jahr.“

Egal wie: Martensen sieht keine Möglichkeit, mit der Maik S. nach Verbüßung seiner Strafe hätte in Haft gehalten werden können. Seine Gefährlichkeit war bekannt; sie sei „so hoch wie die von vielen anderen Straftätern“ auch.

Zuvor hatte ein Psychotherapeut der JVA Bützow, Michael Köpke, die Therapie von Straftätern als problematisch geschildert. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut komme selten zustande, bei der Arbeit seien beide „in ein Korsett gezwängt“. Der Bedarf an Therapie werde nicht abgedeckt, viele Kollegen mieden die Arbeit mit Straftätern als „nicht erstrebenswert“.

Dass der Ausschuss ein politisches Gremium aus Oppositions- und Regierungsparteien ist, wurde erneut klar: Die SPD wertete das gestrige Ergebnis als „nichts Neues“, die CDU witterte in fast jedem Detail einen neuen Skandal.

Die 16-jährige Carolin war im Juli 2005 vergewaltigt und ermordet worden. Ihr Mörder, der 29-jährige Maik S. aus Gelbensande, war erst wenige Tage vor dem Verbrechen aus der Haft entlassen worden. Er hatte sieben Jahre wegen Vergewaltigung abgesessen.

KLAUS WALTER

 

Mittwoch, 17. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

Justizminister düpiert Carolin-Ausschuss


Im Carolin-Ausschuss droht neuer Ärger: Justizminister Erwin Sellering (SPD) schreibt dem Ausschuss vor, wie er zu verhören sei. Bereits Anfang Mai sorgte Generalstaatsanwalt Martensen für Aufsehen.

Schwerin (OZ) Der Rauch ist noch gar nicht verzogen: Erst Anfang Mai hatte der Generalstaatsanwalt des Landes, Uwe Martensen einen Eklat provoziert, indem er dem „Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klärung von Sachverhalten im Bereich der Justiz“ (Carolin-Ausschuss) die Kompetenz absprach, als „politische Aktion“ und „billige Nummer auf den letzten Schützen“ beschimpfte (OZ berichtete).

Jetzt sorgt ein Brief von Justizminister Erwin Sellering (SPD) an den Ausschussvorsitzenden Klaus Mohr (SPD) für neuen Unmut. In dem Brief, der OZ vorliegt, schreibt der Minister dem Ausschuss vor, in welcher Art und Weise er zu vernehmen sei. In Bezug auf seine am 24. Mai bevorstehende Aussage schreibt Sellering: „Ich weise schon jetzt vorsorglich darauf hin, dass ich es als Beeinträchtigung meiner Rechte als Zeuge ansehen würde, wenn ich dabei durch Anmeldung von Beratungsbedarf, Geschäftsordnungsanträgen o.ä. unterbrochen würde.“

CDU-Fraktionschef Armin Jäger wertet das als Vorgabe, dass dem Ausschuss keine Zwischenfragen erlaubt seien, wie sie in anderen Vernehmungen durchaus üblich wären. „Wenn ein Zeuge dies einem ordentlichen Gericht anbieten würde, möchte ich nicht den Vorsitzenden Richter erleben“, sagte Jäger. Im Fall Sellering handele es sich erneut um eine „eindeutige Missachtung der Rechte und der Pflicht des Parlaments“, die Landesregierung zu kontrollieren. Es spreche von einem völlig falschen Demokratieverständnis des Ministers, wenn er dem Souverän vorschreiben wolle, wie er zu verfahren habe.

Unterdessen hat sich der Vater der ermordeten Carolin, Jörg Scholz, im Vorfeld der Ausschusssitzung am 19. Mai zu Wort gemeldet. „Wir stehen als Eltern hinter dem Untersuchungsausschuss und wünschen uns, dass in der Aufarbeitung der Verfehlungen der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern Konsequenzen gezogen werden, die eine Wiederholbarkeit minimieren“, erklärt Scholz.

Die 16-jährige Schülerin aus dem Ostseebad Graal-Müritz (Landkreis Bad Doberan) war am 15. Juli 2005 von Maik S. (29) aus Gelbensande in der Rostocker Heide vergewaltigt und auf brutalste Weise ermordet worden. Der Täter war nach siebenjähriger Haftstrafe wegen schwerer Vergewaltigung erst eine Woche vor der grausamen Tat aus dem Gefängnis entlassen worden.

KLAUS WALTER

 

Donnerstag, 11. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

Carolin-Ausschuss offenbart Fehler bei Sozialtherapie


Schwerin (ddp) Die Sozialtherapie in MV ist nach Angaben des Abteilungsleiters für Justizvollzug, Soziale Dienste und Gnadenwesen in den letzten Monaten vor der Haftentlassung des spätere Mörders von Carolin noch im Aufbau gewesen. Der Mann sei damals nicht der einzige gewesen, der weniger als die empfohlenen 18 Monate an einer Sozialtherapie teilgenommen habe, sagte Jörg Jesse gestern vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Mordfall Carolin in Schwerin. Es habe zwischen 30 und 40 andere Inhaftierte gegeben, die kürzer als anderthalb Jahre an einer Sozialtherapie teilgenommen hätten. Ein neues Justizvollzugsgesetz, das 18 bis 24 Monate empfehle, sei am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Ein als Sachverständiger geladener Psychologe hatte zuvor die Therapiemöglichkeiten in der JVA Bützow kritisiert. Der Therapiebedarf der Insassen habe in der JVA nicht abgedeckt werden können.

 

 

Wochenendausgabe, 06. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

CDU besteht auf Rücktritt von Martensen


Schwerin (dpa) Generalstaatsanwalt Uwe Martensen hat seine heftig kritisierten Äußerungen im Justiz-Untersuchungsausschuss des Landtags verteidigt, zugleich eine mögliche Verunglimpfung der Ausschussmitglieder aber bedauert. Mit der Formulierung, der Ausschuss sei „eine ganz billige Nummer“ habe er keinen der Abgeordneten persönlich verunglimpfen wollen, schrieb er in einem am Brief an den Ausschuss, den die CDU gestern veröffentlichte. Die Oppositionspartei vermisste aber eine förmliche Entschuldigung und Distanzierung von seinen Aussagen und bekräftigte deshalb ihre Forderung nach Martensens Entlassung.

Martensen schrieb, er habe dem Ausschuss nicht die Kompetenz abgesprochen, sich mit dem Mordfall Carolin und den diesbezüglichen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zu befassen. Er habe bei seiner Aussage „sogar ausdrücklich das Gegenteil bestätigt“. Im Zusammenhang mit dem Mordfall Carolin seien die Staatsanwaltschaften und vor allem die zuständige Mitarbeiterin aber unberechtigten Angriffen bis hin zum Vorwurf der Beihilfe zum Mord ausgesetzt gewesen. „Dem habe ich entschieden entgegentreten wollen und werde dies aus meinem Verständnis von den Aufgaben meines Amtes heraus auch künftig tun müssen.“

Für den CDU-Obmann im Ausschuss, Ulrich Born, nicht zufrieden stellend. „Wenn er nicht von sich aus den Hut nimmt, muss der Justizminister endlich handeln.“

 

 

Donnerstag, 04. Mai 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

Generalstaatsanwalt sorgt für Eklat im Carolin-Ausschuss


Die CDU erwägt eine Rücktrittsforderung an Justizminister Erwin Sellering (SPD). Grund: Sein Ministerium hat Generalstaatsanwalt Uwe Martensen geheime Dokumente zugespielt.

Schwerin (OZ) Generalstaatsanwalt Uwe Martensen sorgte gestern im parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages „zur Klärung von Sachverhalten im Bereich des Justizministeriums“ für einen Eklat. Er war als Zeuge geladen, um Entscheidungen zu einer möglichen nachträglichen Sicherungsverwahrung des Carolin-Mörders zu beleuchten. Martensen stellte die Kompetenz des Untersuchungsausschusses in Frage. Er sei zornig, dass „die politische Aktion Untersuchungsausschuss“ als eine nach dem Motto „Haltet den Dieb“ eingestuft werden könnte. „Es ist eine ganz billige Nummer auf den letzten Schützen“, sagte Martensen erbost. Die gesamt Staatsanwaltschaft in MV sei in Misskredit gezogen worden. „Den Akzeptanzverlust kann ich täglich in der Post feststellen“, erklärte der 64-Jährige. Um den Vertrauensverlust in der Bevölkerung auszugleichen, würden Jahre benötigt. Martensen zitierte zudem aus einem vertraulichen Protokoll des Rechtsausschusses des Landtags. Das Protokoll habe er vom Justizministerium erhalten, sagte Martensen auf Nachfrage.

Ausschussvorsitzender Klaus Mohr unterbrach die Sitzung. Die Worte des Generalstaatsanwaltes wertete er als „Beschimpfung“ des Untersuchungsausschusses. „Wir bewegen uns hier im Rahmen der Gesetze“, betonte Mohr. „Und auch die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft müssen sich gefallen lassen, dass gewählte Volksvertreter ihnen auf die Finger schauen und ihre Arbeit prüfen.“ Mohr wies nach dem Lesen des Wortprotokolles die Vorwürfe entschieden zurück. Die Vernehmung des Generalstaatsanwaltes wurde unterbrochen. Er wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder vorgeladen. Zuvor hatte der Zeuge Martensen geäußert, dass das neue Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung von Straftätern ohne jedwede Beteiligung der Praxis erarbeitet worden sei. „Die gefundene Regelung war sehr kompliziert und verschachtelt. Sie führte zu Unklarheiten“, sagte Martensen, dennoch sei das Gesetz ständiges Thema von Dienstberatungen der Anklagebehörde gewesen.

Der Generalstaatsanwalt sprach der Familie von Carolin sein tiefes Mitgefühl aus, die 16-jährige Schülerin aus Graal-Müritz (Landkreis Bad Doberan) war am 15. Juli 2005 von Maik S. vergewaltigt und ermordet worden. Der Täter war nach siebenjähriger Haftstrafe wegen schwerer Vergewaltigung erst eine Woche vor dem Mord entlassen worden.

Als Zeugen geladen waren gestern auch zwei psychologische Sachverständige, die Maik S. untersucht und begutachtet hatten. Beide kamen in Begleitung ihrer Rechtsanwälte und verwiesen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen, die ihnen eine Schweigepflicht abverlangen. Dr. Stefan Orlob hatte 1998 ein erstes Gutachten zu Maik verfasst und nach dem Mord ein weiteres. In letzterem stellte Orlob fest, dass Maik S. nicht therapierbar sei. Birte Fellert hatte im März 2005 ein Gutachten zu Maik S. erstellt, nachdem dieser eine vorzeitige Haftentlassung beantragt hatte.

Diese wurde abgelehnt, nachdem die Psychologin auf die nach wie vor große Gefährlichkeit des Strafgefangenen hingewiesen hatte. Er musste seine Haftzeit bis zum letzten Tag absitzen. Für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung von Maik S. hätte dieses Gutachten nicht gereicht, obgleich es nach Aussagen anderer Sachverständiger deutliche Hinweise auf die gestörte Persönlichkeit des späteren Carolin-Mörders lieferte.

Ulrich Born, CDU-Obmann des Ausschusses kündigte unterdessen an, dass seine Partei prüfen wolle, ob Justizminister Erwin Sellering (SPD) davon Kenntnis hatte, dass vertrauliche Protokolle an den Generalstaatsanwalt weitergeleitet wurden. „Dann ist der Minister nicht mehr tragbar“, sagte Born. Der Rechtsausschuss tage hinter verschlossenen Türen und die Weitergabe von Papieren sei ein „Verstoß gegen den Geheimnisschutz des Landtages“.

DORIS KESSELRING

 

Donnerstag, 27. April 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

Störungen der Persönlichkeit waren bei Carolin-Mörder erkennbar


Schwerin (ddp) Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Mordfall Carolin hat gestern erstmals einen psychiatrischen Sachverständigen vernommen. Der Leiter der Abteilung für forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg, Michael Osterheider, bewertete die beiden psychologischen Gutachten von 1998 und 2005 über den späteren Mörder der Schülerin aus Graal-Müritz (Landkreis Bad Doberan). Nach Angaben des Ausschuss-Vorsitzenden Klaus Mohr (SPD) habe Osterheider dargestellt, dass bereits das ältere Gutachten auf eine verfestigte Persönlichkeitsstörung hinweise.

CDU-Obmann Ulrich Born sagte, dass nach Angaben des Experten anhand des so genannten Fellert-Gutachten aus dem Jahr 2005 neue Tatsachen erkennbar gewesen seien. Das Pathologische in der Persönlichkeit des Täters habe sich immer weiter entwickelt. Hinweise seien die verschiedenen Täuschungsversuche während seiner Gefängniszeit.

 

Mittwoch, 26. April 2006  |  Mecklenburg-Vorpommern

SPD und PDS bescheinigen Justiz weiße Weste


Hätte Maik S., Mörder der 16-jährigen Carolin aus Graal-Müritz, aus der Haft entlassen werden dürfen oder nicht? Sachverständige vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages sind weiter uneins.

Schwerin (OZ) Es wird immer deutlicher: SPD und Linkspartei wollen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Mordfall Carolin kurz vor der Landtagswahl nicht. Bei der gestrigen 6. Sitzung setzten die Vertreter der Regierungsparteien alles daran, „ihrer“ Justiz schnell eine weiße Weste zu bescheinigen. Obwohl die Aussagen der Sachverständigen andere Auslegungen zulassen, nicht nur aus Sicht der CDU, die die Untersuchung des Mordes der 16-jährigen Schülerin aus Graal-Müritz gefordert hatte.

Über Stunden vernahm der Ausschuss die Richterin am Bundesgerichtshof, Ruth Rissing-van Saan. Sie hatte Carolins Mörder, den 29-jährigen Maik S. aus Gelbensande, im Februar im Rechtsausschuss als „menschlichen Vulkan“ bezeichnet, den man einer Prüfung zur Sicherheitsverwahrung hätte unterziehen sollen. Sie erkannte „das Recht und die Pflicht der Staatsanwaltschaft“, im Rahmen einer Gefährlichkeitsprognose Maßnahmen zu ergreifen. „Sobald es einen Verdacht oder Kenntnis über neue Anhaltspunkte gibt“, sagte die Richterin.

Was neue Anhaltspunkte sind, die die Prüfung auf Sicherheitsverwahrung erfordern, darüber stritt der Ausschuss trefflich. Nach Ansicht des zweiten Sachverständigen, des Greifswalder Rechtsprofessors Wolfgang Joecks, gehören die 1500 Seiten der Gefangenenakte von Maik S. aus sieben Jahren Haft nicht dazu. Auch nicht, wenn sie 14 schweren Verstöße gegen die Gefängnisordnung und die Vergewaltigung eines Mitgefangenen dokumentieren.

1500 Seiten Aktenstudium vor jeder Entlassung könne die Staatsanwaltschaft gar nicht leisten, sagte Joecks. Dazu bräuchte man mehr Personal. Bei der Bewertung des Gefangenen müsse eine Staatsanwältin auf das Urteil der Gefängnispsychologen vertrauen können. „Wäre etwas Relevantes gewesen, wäre das dem Psychologen sicher aufgefallen.“ Joecks stellte auch einen „Konstruktionsfehler“ des Gesetzes zur Sicherheitsverwahrung dar: Danach erfüllte Maik S. zwar alle Voraussetzungen im Gefängnis zu bleiben, mit Ausnahme einer zweiten Verurteilung. Daher hätte er sowieso freigelassen werden müssen.

Das ermunterte die SPD während der Vernehmung von Joecks, eine Erklärung zu veröffentlichen. Sinngemaß: Die Justiz hat nicht versagt, die abweichende Meinung der BGH-Richterin Rissing-van Saan sei eine „Einzelmeinung“. Die PDS schlug mit ihrer Erklärung in die gleiche Kerbe: Der Justiz sei nichts vorzuwerfen.

Der Vater der ermordeten Carolin betrachtet das Geschehen mit Skepsis. „Es zeigt sich, dass alle Missstände, die zur ungeprüften Entlassung des gefährlichen Täters führten, nach wie vor bestehen“, sagte Jörg Scholz. „Es ist also nach wie vor möglich, dass sich so etwas wiederholt.“ Scholz hatte in bisherigen Ausschusssitzungen verwundert reagiert, dass es nichts Verwerfliches ist, wenn Akten über die Vergewaltigung eines 12-Jährigen, die Maik S. anzulasten ist, verschwinden, oder eine Staatsanwältin die Aussage verweigert.

KLAUS WALTER

 

 

Donnerstag, 20. April 2006 | Mecklenburg-Vorpommern

 

Carolin-Ausschuss: Zeugen beeinflusst

 

Empörung im Ausschuss zum Mordfall Carolin. Zeugen sollen vom Justizministerium beeinflusst und

Akten vernichtet worden sein.

 

Schwerin (OZ/dpa) Das Verfahren im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Mordfall Carolin und

zu Vorgängen in der Justizverwaltung wird immer bizarrer. Nachdem bei der vergangenen Ausschusssitzung

eine Staatsanwältin „die Aussage verweigerte“, wurden gestern zwei weitere, unfassbare Details bekannt.

 

Zum einen wurde die Bewährungshelferin des Mörders Maik S. gezielt in Rollenspielen auf ihre Aussage vor

dem Untersuchungsausschuss vorbereitet. Zum anderen sind Akten über die Vergewaltigung eines 12-jährigen

Jungen, die vermutlich Maik S. weiter belastet hätten, verschwunden.

 

„Wir sehen uns bestätigt, dass der Ausschuss notwendig war“, sagt dessen Mitglied Ulrich Born (CDU). Was

das Gremium von der Bewährungshelferin des Maik S. vernommen habe, sei für viele „rational nicht mehr

fassbar“. So sei die Bewährungshelferin am Gründonnerstag vom Abteilungsleiter im Justizministerium, Jörg

Jesse, angerufen worden, um mit ihr vor der Vernehmung über das Thema zu sprechen.

 

Born und weitere Ausschussmitglieder werten das als unzulässigen Versuch der Zeugenbeeinflussung. „Das ist

ein unglaublicher Vorgang“, sagte Born, „für den Justizminister Erwin Sellering (SPD) die Verantwortung

trägt.“

 

Schon vorher, so habe die Bewährungshelferin eingeräumt, seien „Rollenspiele zur Vorbereitung der

Vernehmung“ mit der Zeugin durchgeführt worden. „Für mich ist das Beeinflussung, die dazu dient, die

Wahrheitsfindung zu verhindern, statt sie zu ermöglichen“, sagt Born.

 

Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Klaus Mohr (SPD) gab die Frau auch an, „inhaltlich nicht instruiert“ worden zu sein.

 

Mohr hält die Kontakte für „legitim“. Die Bewährungshelferin habe versucht, sich mit Hilfe ihrer Kollegen

länger zurückliegende Vorgänge zu vergegenwärtigen. Jesse habe ihr in dem Telefonat gute Arbeit bescheinigt.

Justizminister Erwin Sellering (SPD) kündigte eine Überprüfung an. Er sagte: „Selbstverständlich darf der

Dienstherr einem Bediensteten bei der Vorbereitung auf eine besondere Belastungssituation helfen, indem er

dem Zeugen allgemein Mut macht oder den Verfahrensgang und die Rollen der Beteiligten erläutert.“

 

Schwerer wiegt Ulrich Born ein weiterer Aspekt: Ebenfalls gestern stellte sich heraus, dass Ermittlungsakten

von 1995 über die Vergewaltigung eines 12-jährigen Jungen verschwunden sind. Die Tat wurde während der

Gerichtsverhandlung im Mordfall Carolin thematisiert, weil sie möglicherweise Carolins Mörder, Maik S. aus

Gelbensande, zugeschrieben werden könne.

 

„Leider wissen wir nicht zweifelsfrei, ob Maik S. auch dieses Verbrechen begangen hat“, bedauert Born.

„Wenn ja, wäre klar gewesen, dass der 29-Jährige in Sicherheitsverwahrung gehört hätte – und die

Gymnasiastin aus Graal-Müritz noch leben könnte.“

 

In der Sitzung ging es vor allem um die Führungsaufsicht über den Mann nach seiner Haftentlassung. Unter

anderem war angeordnet worden, dass er sich bei seiner Bewährungshelferin melden und seine Therapie zu

Ende führen muss.

 

KLAUS WALTER